Über Stadt.Land.Pop


Popmusik aus Ostwestfalen

Oelde- Das Kulturgut Haus Nottbeck zeigt ab dem 27. November 2008 die Ausstellung

Stadt.Land.Pop.

Gegenstand der Ausstellung ist das Verhältnis ostwestfälischer Künstler zur Hamburger Schule, in Verbindung mit regionaler Literaturgeschichte. Dem zugrunde liegt die Tatsache, dass viele Künstler der Hamburger Schule, einer in den 1990er Jahren bekannt gewordenen Musikbewegung aus Ostwestfalen, insbesondere aus Bad Salzuflen stammen.

Die bekanntesten Vertreter der Bewegung sind Bernd Begemann und Blumfeld. Jedoch haben diese Künstler ihre kreative Befreiung nicht in Bad Salzuflen erlebt, sondern in der verruchten Szene der Hansestadt Hamburg. In der heimatlichen Provinz herrschte eher eine Leere und Melancholie, die auch in so manchem Songtext in literarischer Weise anklingt. Erst in Hamburg öffneten sich für die Künstler die Tore zur Kreativität und von dort aus eroberten sie die deutschsprachige Popwelt.

Der Werdegang der Künstler wird mit einer Vielfalt von Exponaten sorgfältig nachgezeichnet. Darunter sind Songtexte, Videos, Interviews und Selbstdarstellungen.
Als Besonderheit der Ausstellung findet jeden Monat ein Konzertabend statt. Auftreten werden bis Ausstellungsschluss am 19. April 2009 Bernd Begemann, Bernadette LaHengst und die Frank Spilker Gruppe. Den Anfang machen am Eröffnungsabend die Erdmöbel.

Initiiert wurde die Ausstellung von dem germanistischen Institut der Universität Münster, sowie der LWL-Literaturkommission in Zusammenarbeit mit der Universität Paderborn.

Karten für die Ausstellung und die Konzerte sind beim Kulturgut Haus Nottbeck und beim die Glocke- Kartenservice erhältlich.

Anna-Katharina Schulte



Hamburgs „Goldenes Zeitalter“
9. Januar 2009, 16:40
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Vom Aufstieg und Fall des Hamburger Labels L’Age D‘Or


Letztes Jahr ist es passiert: L’Age D’Or steht kurz vor dem Bankrott. Ein Schicksal das schon viele Indielabels erfasste und noch erfassen wird. Doch mit L’Age D’Or hat es nun ein Label getroffen, dass als Knotenpunkt der „Hamburger Schule“ ein ganzes Genre prägte, wie es nur selten geschieht.

Es ist 1986, als sich Carol von Rautenkranz und Pascal Fuhlbrügge dazu entschließen, mit der Konzertagentur L’Age D’Or Abwechslung in den noch immer von NdW-Bands geprägten Konzertalltag Hamburgs zu bringen. Ihnen ist bewusst, wie viel Potential in den Garagen der Stadt brachliegt, da sich einfach kein Konzertveranstalter traut diesen Bands eine Plattform zu bieten. „Ursprünglich war es so, dass Pascal und ich Konzerte in Hamburg gemacht haben. Wir haben dreimonatlich Festivals für 300 bis 400 Zuschauer veranstaltet mit jeweils vier unterschiedlichen Hamburger Bands.“, sagt Carol von Rautenkranz, späterer Gründer des Indielabels L’Age D’Or, in einem Interview mit dem NDR. Diese Konzertreihe etablierte sich ziemlich schnell und Carol von Rautenkranz und Pascal Fuhlbrügge kommen mit zahlreichen Bands in Kontakt. „Irgendwann haben wir dann gesagt: “Nur Konzerte veranstalten ist ja ein bisschen langweilig, wir könnten ja auch mal Platten rausbringen.““ Gesagt, getan: Am Nachmittag eines Konzertes der Reihe „Hamburg 88“ versehen Carol von Rautenkranz und Pascal Fuhlbrügge ein paar Singles von „Kein Schulterklopfen“ der Kolossalen Jugend mit L’Age D’Or Stickern und verkaufen diese am Abend als erste CD des Labels. Sogar der einflussreiche „Poppapst“ Diedrich Diedrichsen wird auf die CD aufmerksam und schreibt im Magazin Spex: „Die beste Platte der Welt kommt heute aus Hamburg“.

Zunächst veröffentlichen von Rautenkranz und Fuhlbrügge auf ihrem Label unter anderem Produktionen ihrer eigenen Bands. Fuhlbrügge ist Mitglied der Kolossalen Jugend, einer bekannten Hamburger Schule Band der ersten Stunde und Rautenkranz vertreibt sich seine Zeit in einer Darkwave meets Indie – Band namens Die-Giants. Bald nehmen sie die Bands, denen sie zuvor schon auf die Bühnen der Hansestadt verholfen hatten, unter Vertrag. „Wir hatten mit ein paar Bands sehr gut zusammengearbeitet, und es gab keine Labels zu dieser Zeit, wo man gesagt hätte, die kümmern sich wirklich darum.“ Unter anderem Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs und Huah!, die relativ erfolgreiche Vertreter der zu der Zeit aufstrebenden Hamburger Independentszene sind. Im Winter 89/90 veröffentlicht man den ersten L’Age D’Or Sampler „Dies ist Hamburg (nicht Boston)“, die den Abschluss der „Hamburg“ Konzertreihe bildet und alle Künstler des Labels featured. Zu dieser Zeit wird auch den Medien bewusst, welch feine Indiemusik gerade in Hamburg produziert wird, L’Age D‘Or wird in Umfragen von Szenemagazinen zum Label der Stunde gekürt. Doch genauso so schnell, wie sich L’Age D’Or einen Namen in der Independentszene macht, bekommt man die Probleme die ein solches Independentdasein mit sich bringt zu spüren und das Label gerät in seine erste finanzielle Notlage. „Wir hatten ein, zwei Jahre lang Platten herausgebracht, die zwar großen Kredit bekommen haben, die aber dann nicht so verkauft wurden.“

Abhilfe schafft 1991 ein Deal mit dem Major-Label Polydor, an dessen Spitze zu diesem Zeitpunkt Tim Renner, Auto des Buches „Kinder der Tod ist garnicht so schlimm!“, in dem es um die Zukunft der Musikindustrie geht, steht. „Mit Tim verstand man sich auf Anhieb, es war ein gleiches Verständnis für Pop, er kannte das Label, und so haben wir einen Labeldeal gemacht auf der Popkomm 1991.“ Polydor verpflichtet sich im Rahmen dieses Deals, eine bestimmte Anzahl von Platten von L’Age D’Or abzunehmen und behält sich im Gegenzug ein sogenanntes Vorkaufsrecht auf Künstler vor, in denen man das Potential sieht, diese selbst gewinnbringend zu vermarkten. Wirft man einen Blick auf Albumtitel die zu dieser Zeit auf L’Age D’Or erscheinen, so merkt man schnell das Unbehagen, mit dem einige Künstler auf diese „Kooperation“ reagieren. Titel aus dieser Phase sind zum Beispiel „Scheiß Kapitalismus“ oder „Für die anderen“. Doch aller Unzufriedenheit mancher Künstler zum Trotz, ist durch diesen Deal zumindest der Fortbestand von L’Age D’Or für das Erste gesichert.

Im folgenden Jahr tritt schließlich mit Die Sterne eine der bekanntesten Hamburger Schule Bands auf den Plan. Deren Debütsingle „Fickt das System“ wird nicht nur wegen des provozierenden Titels stark diskutiert. 1994 erscheint dann mit Tocotronic die zweite große Band der Hamburger Schule auf der Bildfläche, nachdem sie von von Rautenkranz auf einem Konzert entdeckt und sofort unter Vertrag genommen wird. „In ihrer Art waren die Jungs schon sehr eigen und merkwürdig. Ich dachte: “Wenn ich diese Band jetzt nicht unter Vertrag nehme, wieso habe ich den Job dann die ganze Zeit gemacht?““. Die zweite Veröffentlichung von Tocotronic „Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein“ wird zum Slogan für viele Jugendliche dieser Zeit, und das Label L’Age D’Or, dass als kleiner Zweimannbetrieb angefangen hatte, wird zum Inbegriff und Knotenpunkt der „Hamburger Schule“. Ein Stempel den die Medien diese Art von Musik aufdrücken. Die Musiker selbst bevorzugen den Begriff des „Diskurs-Pop“. Das Debütalbum „Digital ist besser“ ist 1995 für Tocotronic und auch L’Age D’Or ein großer Erfolg. Als der Labelvertrag mit Polydor schließlich ausläuft hat sich die finanzielle Lage von L’Age D’Or, die ja der ausschlaggebende Punkt des Deals war, nicht verbessert, ganz im Gegenteil. „Wir dachten ja, wir hätten hinterher keine Schulden mehr – aber wir hatten dann doppelt so viele. Es ging dann aber trotzdem immer weiter und es kamen auch neue Sachen hinzu.“

Trotzdem gehören die Jahre nach der Kooperation mit Polydor zu den erfolgreichsten der Label Geschichte, und werden auch von von Rautenkranz selbst als das „Goldene Zeitalter“ des Labels gesehen. „Die erfolgreichsten Jahre waren sicherlich von 1995 bis 1998. Die Sterne hatten schon zwei Platten gemacht und mit dem dritten gingen sie 1996 dann durch die Decke. Bei Tocotronic liefen die erste und zweite Platte schon sehr gut. Aber die dritte lief noch besser. Ab der dritten Platte gab es die Zusammenarbeit mit Motor Music, wo man auch mehr Vertriebs- und Marketing-Power am Start hatte.“ Ab dieser Zeit wurden immer mehr Bands von L’Age D’Or auf Majors veröffentlicht, das Management, die Vinylveröffentlichungen sowie der Verlag, bleiben aber in den Händen des kleinen Hamburger Indielabels. Ende der 90er Jahre öffnet L’Age D’Or sich zunehmend für Bands, die längst nicht mehr alle unter den Deckmantel „Hamburger Schule“ passen. „Als Genre-Label wissen deine Fans ganz genau, was sie von dir zu erwarten haben. Allerdings bleiben dir dann kaum Entwicklungsmöglichkeiten. Trotzdem gibt es bei aller Vielfalt unseres heutigen Angebots immer noch einen L’Age D’Or-Geist. Sie (eine typische L’Age D’Or-Band, Anmerk. d. Verfasserin) ist immer ein bisschen komisch und eigen. Sie darf nicht platt klingen, sondern muss uns Spaß machen und überraschen.“ So gründet man zum Beispiel mit Ladomat2000 ein Sublabel für elektronische Klänge, das mit Bands wie Commercial BreakUp und Whirpool Productions einige Achtungserfolge landen kann. Neue Labeldeals werden abgeschlossen und über die Stadtgrenzen hinaus sucht man nach Gruppen, die den „L’Age D’Or-Geist“ in sich tragen. Diese müssen auch nicht unbedingt deutsch singen. „Die ganze Situation hat sich seit 1986 völlig umgekehrt. Alle Plattenfirmen – ob groß oder klein – schauen nach Bands, die deutsch singen. Dagegen stehen einige neuere LADO Bands, wie The Robocop Kraus oder Timid Tiger für das Gegenteil: Sie kommen aus Deutschland, klingen aber sehr international.“Auch in Hamburg, bei ihren Wurzeln suchen die Labelverantwortlichen weiter nach neuen Musikperlen. Fündig werden sie schließlich bei Spillsbury, deren Album – wie zu viele Alben von L’Age D’Or – zwar gute Kritiken bekommt, sich aber längst nicht so gut verkauft wie erhofft.

So ist es dann 2007 finanziell um L’Age D’Or schließlich so schlecht bestellt, dass der einstige Labelgründer Carol von Rautenkranz neunzehn Jahre nach der Gründung den Labelbetrieb weitestgehend einstellen, oder zumindest einschränken muss, um die drohende Insolvenz abzuwenden. Der eigentliche Niedergang des einstigen Knotenpunktes der Hamburger Schule beginnt jedoch schon viel früher. „Es kamen viele Sachen zusammen.“ Man erkennt zu spät, dass die Zeiten im Musikbusiness immer rauer werden und man zu unpopulären Maßnahmen wie Kündigungen greifen müsste. Auch veröffentlicht man zu viele Newcomer, die sich nicht rentieren, anstatt zu versuchen, die großen Cashcows an sich zu binden. Zudem läuft Ende 2006 noch der letzte Labeldeal von Ladomat mit Mute aus, „Das bedeutete, das wir im ersten Halbjahr drei Labels mit Veröffentlichungen selber schultern mussten, die alle nicht so liefen wie geplant.“ Erdrückt von den damit anfallenden Kosten, zusammen mit den nach wie vor zu hohen Personalkosten und Altlasten kommt es schließlich zu besagter Insolvenz. Wie es mit L’Age D’Or weiter geht, ist eine Frage, die noch nicht einmal der Chef selbst beantworten kann. „Wenn ich heute ein Label machen würde, dann würde ich das auch ganz anders machen wollen. Aber es ist irgendwie noch nicht an der Zeit. (…) Ich habe einen gewissen Anspruch an die Arbeit – und diese Arbeit kostet Geld. Und einfach irgendwelche Platten rauszubringen finde ich auch nicht richtig. Das muss man dann schon vernünftig machen.“

Was bleibt ist der momentane Einmannbetrieb eines Labels, dessen „Goldenes Zeitalter“ ein Genre prägte, wie es nur selten geschieht.

__________________________________________________________________________ Nadine Pohse

„Hamburger Schule“

Der Begriff „Hamburger Schule“ wurde von Journalisten als Überbegriff für Indiemusik aus Hamburg ab Ende der 1980er Jahre genutzt, nachdem zuvor von „Diskurs-Pop“ gesprochen wurde, und die Bravo die unfreiwillig komische Wortkonstruktion „Twingel Twangel Beat“ in den Raum warf. Das Label L’Age D’Or wurde insoweit zum Inbegriff der Hamburger Schule, als dass es den Großteil der Bands beherbergte, auf die diese Beschreibung passt, zu den bekanntesten Vertretern gehören Tocotronic und Die Sterne. Ab der Jahrtausendwende gab es eine zweite Reihe von Bands, wie Tomte und Kettcar, die als „neue“ Hamburger Schule bezeichnet werden.

Tim Renner

Tim Renner ist ein deutscher Musikproduzent, Journalist und Autor. 1986 begann er seine Karriere als Artist & Repertoire Manager bei der Polydor. 1994 übernahm er die Leitung des Polygram Sub-Labels Motor Music Ltd. Von 2001 bis 2004 war er Vorsitzender der Universal Music Group Deutschland. Nachdem er seinen Chefposten bei Universal 2004 räumte schrieb, er das Buch „Kinder, der Tod ist garnicht so schlimm!“, in dem er die Zukunft der Musikindustrie thematisiert.



„Es geht nicht um Westfalen-Verherrlichung.”
8. Januar 2009, 18:01
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Der Literaturwissenschaftler Walter Gödden im Gespräch über die aktuelle Ausstellung Stadt.Land.Pop und das Arbeiten zwischen Lyrik und Lyrics.

Prof. Dr. Walter Gödden ist Geschäftsführer der Literaturkommission für Westfalen, Honorarprofessor an der Universität Paderborn und Leiter des Museums für Westfälische Literatur auf dem Kulturgut Haus Nottbeck. Als Mitarbeiter der Kommission realisierte er in den vergangenen Jahren ein großes Online-Portal zur westfälischen Literatur sowie editorische und lexikalische Großprojekte. Er initiierte darüber hinaus die Beschäftigung mit eher abseitigen Themen wie der Trivialliteratur aus Westfalen und literarischen Kabaretts.

Interview vom 20.11.2008

Schäfer: Wie ist die Idee zu dem Projekt entstanden? Gab es einen konkreten Anlass, ein Schlüsselereignis?

Gödden: Ja, die Idee ist irgendwann mal aufgekommen. Man hat ja immer die Antennen auf online gestellt und überlegt sich Themen. Und wenn man das Glück hat, über ein Literaturmuseum zu verfügen, denkt man auch eher an Austellungen. Und in dem Zusammenhang ist das über Jahre gewachsen. Da ich auch selbst eine Affinität zur Musik habe, habe ich irgendwann erfahren, dass sehr viele Musiker oder auch bekannte Gruppen hier aus der Gegend sind. Dann wächst das im Kopf, man baut Kontakte zu den Künstlern auf, recherchiert und irgendwann kommt dann der Zeitpunkt, wo man sagt jetzt haben wir vielleicht auch das Geld für das Projekt oder wir haben die Förderer. Dann beginnt man mit der inhaltlichen Arbeit und so war es bei diesem Projekt eigentlich auch. Also man hat viele Ideen im Hinterkopf und entscheidet sich dann irgendwann, so ein Projekt zu machen, findet Partner und das hat ja auch ganz gut funktioniert.

Schäfer: Dem Projekt scheinen ja zwei Ideen zu Grunde zu liegen. Zum einen der örtliche Bezug und zum anderen die Verbindung zwischen Popliteratur und Popmusik. Gibt es denn nun einen vordergründigen Aspekt? Den Ortsbezug oder die inhaltliche Verbindung zwischen den Bands: Stichwort Hamburger Schule?

Gödden: Das Regionale spielte schon von Anfang an eine Rolle. Wir als Macher des Projekts, also die Literaturkommission für Westfalen … unser Aufgabengebiet ist eben auch die regionale Literatur. Und das ist eine Facette, die bisher vernachlässigt wurde. Spannend war es wirklich, mit den Künstlern zu reden, sie über ihre Vergangenheit, ihre Wurzeln und eben auch die Texte zu befragen. Wenn man sich diese vielen Songtexte anguckt, stellt man fest, dass das Verhältnis zur Region, Heimatstadt und auch zu den Eltern eine große Rolle spielt. Und eben dies haben wir in den Mittelpunkt gestellt, weil wir das für interessant halten. Also die Herrschaften, die irgendwann mal aus Bad Salzuflen nach Hamburg oder nach Berlin gehen und mit einem gewissen Abstand auf diese frühere Zeit zurückblicken. Das hat sicherlich verschiedene interessante Aspekte. Das hat jetzt nichts mit Westfalen-Verherrlichung zu tun. Es ist einfach diese Opposition Stadt-Land, die interessant ist.

Jäger: In dieser Ausstellung werden vorwiegend die Texte musikalischer Künstler behandelt. Warum nicht auch die Werke von Popliteraten?

Gödden: Also wir mussten das wirklich begrenzen. Wir haben uns jetzt auf einige Musiker beschränkt und zwar auf die, die aus dem Fast Weltweit-Umfeld kamen. Also diese Bad Salzufler Leute, die ja komischerweise alle in diesem Nest groß geworden sind, sehr früh Anfang Zwanzig ein eigenes Label gegründet haben und dann in die größeren Städte gingen, aber eigentlich den Gedanken dieses Kollektivs Fast Weltweit mitgenommen und in ihre Musik hineingetragen haben. Auf diesen Kern haben wir uns konzentriert. Zudem haben wir aber noch die Gruppe Erdmöbel dazugenommen. Aus ganz profanen Gründen, da wir Fördergelder von der Aktion Münsterland bekommen haben und Ostwestfalen nicht das Münsterland ist. Also haben wir eine Gruppe aus dem Münsterland hinzugenommen, die natürlich mit dem Münsterland so gut wie nichts zu tun hat, außer dass die Protagonisten aus Ostbewern, Telgte und Münster stammen, heute aber nicht mehr in Westfalen leben, sondern in Köln ein eigenes Studio betreiben und eigentlich außerhalb Westfalens viel bekannter sind, als in der Region aus der sie stammen. Zudem hat die Musik von Erdmöbel aber auch hohe textliche Qualität und das Poetische steht sehr im Vordergrund. Insofern haben wir da auch Qualitäten festgestellt, die bei den anderen vielleicht nicht so stark im Vordergrund stehen.

Schäfer: Gibt es einen Grund, dass es ausgerechnet im Umfeld von Bad Salzuflen plötzlich eine hohe Dichte von Musikern gibt, die sich inhaltlich ähnlich positionieren?

Gödden: Das hat sicherlich mit Zufall zu tun. Damit, dass zur selben Zeit interessante Leute dasselbe machen wollen und sich dann im Forum Enger  treffen, wo dieser Independent-Gedanke dann aufkommen kann. Das hing ganz maßgeblich damit zusammen, dass ein Tontechniker aus Bad Salzuflen sehr früh ein Tonstudio dort aufgebaut hat und den Herrschaften die Möglichkeit gab, dort zu produzieren. Aber grundsätzlich kann man sagen: die Provinz ist so gnadenlos in ihrer Beengtheit und Engstirnigkeit. Die Leute mussten einfach kreativ werden, mussten aus dem Dunstkreis dieser Provinz raus und das reflektieren sie auch in ihren Texten. Die Musik war da eben ein geeignetes Ausdrucksmittel. Die Stärke der Provinz ist im Grunde, dass man sie verlässt und produktiv wird. Wenn man jetzt in Hamburg oder in Köln oder wo auch immer groß wird, hat man ein riesiges Angebot. Man kann überall hin, man muss nicht selbst kreativ werden. Und auf so ’nem Kaff … ich weiß nicht … der Drang selbst produktiv zu werden war vielleicht besonders ausgeprägt, weil es eben so ein kleinkarierter Ort war.

Das 1974 von Studenten gegründete Forum Enger war ein Musikclub in der Nähe von Bielefeld. In den 80er und 90er Jahren erlangte es durch Auftritte von u.a. Nirvana, den Toten Hosen und Soundgarden einen Bekanntheitsgrad, der weit über die Grenzen der Provinz hinausreichte. Die Zeitschrift Spex wählte das Forum Enger 1989 zum besten Musikclub Deutschlands.

Jäger: Wie machen Sie denn den Besuchern ihrer Austellung die Ergebnisse ihrer Untersuchungen zugänglich?

Gödden: Ja, das ist auch eine Frage des Designs. Das Ganze muss ja eine Optik bekommen. Es ist ja nicht so, dass wir da nur Texte hinlegen können, sondern es muss plakativ sein. Wir sind von diesem 30×30-Format ausgegangen. Die Größe einer Schallplattenhülle, das ist die Identität des Projektes. An den Wänden des Museums finden Sie Bilder der Musiker, Texte, Sie finden Informationen, aber Sie haben auch die Möglichkeit, sich viele Sachen anzuhören und Videos amzuschauen. Sie können auch die Videos ansehen, die die Musiker außerhalb dieses Projektes gemacht haben, beispielsweise von Erdmöbel, Bernadette La Hengst und Blumfeld. Und es liegen Textbücher aus. Also wir bieten ein reichhaltiges Angebot an Informationsquellen aber auch an Audiovisuellen Quellen. Wir haben einen großen Ausstellungsraum und zwei kleinere im Kellerbereich und da findet man dann auch die Geschichte von Fast Weltweit. Die haben ja mit Anfang Zwanzig alles selbst gemacht. Ihr eigenes Artwork, Plattencover, Pressetexte. Alles Do It Yourself. Und diese Dinge konnten wir dann in Archiven bei den Musikern selbst wiederfinden. Da haben wir auch reichhaltigst recherchiert.

Schäfer: Das Ganze ist ja begleitet von und quasi auch entstanden in einem wissenschaftlichen Umfeld. Der Gegenstand ist ja wahrscheinlich zunächst die inhaltliche Verbindung also auch zur Popliteratur: zwischen Lyrik und Lyrics. Gibt es denn, da Sie mit Videoclips, Audioinstallationen und Konzerten arbeiten, auch wissenschaftliche Begleitung aus anderen Disziplinen, die sich etwa mit den Bildern oder der Musik auseinandersetzen?

Gödden: Also die Popkultur bietet ja eigentlich alles. Da verschmilzt das alles. Ich sag mal die Videos, die Erdmöbel gemacht haben sind auch Literatur. Das hat mit der Schnitttechnik zu tun. Im Prinzip wird in der Popkultur alles eins. Und so ist es auch mit diesem Projekt. Wir sind vom Text ausgegangen, haben aber sehr schnell natürlich auch die anderen Medien mit hinzugezogen. Es ist ja auch so, dass Bernadette selbst Kurzgeschichten schreibt. Sie spielt Theater, schreibt Hörspiele. Frank Spilker schreibt Texte. Blumfeld hat sich nach Kafka benannt. Die Texte sind voller literarischer Anspielungen. Auch das spielt eine Rolle. Was wir machen wollten, war eigentlich, das aufzubrechen. Dass man nicht nur von den Texten ausgeht, sondern in den gesamten Horizont einbettet, den diese Popwelt eben bietet.

Jäger: Wie haben die Künstler reagiert, als sie von Ihnen angesprochen wurden?

Gödden: Musealisierung ist für die ja eigentlich noch gar kein Thema. Die stehen voll im Popleben, obwohl sie mittlerweile auch zum Teil über Vierzig sind. Aber wir hatten auch mit höheren Hemmschwellen gerechnet. Jochen Distelmeyer von Blumfeld hat sich ganz vehement gegen das Projekt gestellt. Für ihn ist Musealisierung kein Thema.

Jäger: Heißt das, dass von Blumfeld nichts ausgestellt werden darf?

Gödden: Ja, also die Plattencover, das darf man. Es werden auch Textpassagen zitiert. Aber es war so: Das Fast Weltweit-Label hat ein Promo-Video gemacht. Darin ist auch ein Auftritt Distelmeyers in jungen Jahren zu sehen. Das durfte nicht gezeigt werden. Ich hatte aus einem Interview mit Jochen Distelmeyer aus dem Jahre 1988 zitiert. Das war schon im Katalog, war schon alles gesetzt. Das musste rausgenommen werden. Dies sind dann die weniger schönen Seiten. Überhaupt wird das völlig unterschätzt, welcher unglaubliche Aufwand betrieben werden musste, um überhaupt auf so einer DVD Musik abspielen zu können. Das hat auch ziemlich viel Geld gekostet. Um an eine Minute Musik heranzukommen, muss man endlos telefonieren. Man darf keinen Fehler machen, sonst ist man sehr schnell regresspflichtig. Das sind so Erfahrungen, die man erst machen musste. Der Musikmarkt funktioniert nun mal völlig anders als der Buchmarkt. Alle anderen haben aber mitgemacht und haben sich glaube ich ganz gern nochmal mit ihrer eigenen Vergangenheit auseinandergesetzt. Viele haben ja auch hervorragende Texte geschrieben, die im Ausstellungskatalog abgedruckt wurden. Also sehr lange Texte, in denen sie nochmal aus heutiger Sicht ihre Vergangenheit reflektieren. Es war doch eine große Bereitschaft da. Natürlich muss man die Künstler aufsuchen. Wir waren in Berlin, in Hamburg, in Herford und haben offensichtlich Vertrauen gewinnen können. Also über Fast Weltweit haben schon Studierende der Uni Köln was machen wollen – ein anderes Projekt – das ist alles gescheitert und wir sind jetzt wirklich die Ersten, die das jetzt nochmal richtig aufgearbeitet haben. Man kann vielleicht die Vorbehalte auch verstehen. Die Künstler engagieren sich, opfern ihre Zeit und dann wird nichts draus. Das ist natürlich ärgerlich. Aber in unserem Fall haben wir glaube ich das Vertrauen gewinnen können. Das ist dann sehr sympathisch und freundschaftlich weitergegangen. Für mich war das eine riesige Bereicherung. Mittlerweile hat mich Frank Spilker von den Sternen mit seiner Familie in Nottbeck besucht. Das waren wirklich schöne Stunden und das wird auch so weitergehen. Also, wir wollen sicherlich auch im Literaturmuseum Nottbeck weiterhin Konzerte machen und die Kontakte aufrecht erhalten.

Jäger/ Schäfer: Vielen Dank Herr Gödden für dieses Gespräch.

Das Interview führten Stefanie Jäger und Benjamin Schäfer.