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Es ist Sommer in der Hauptstadt
17. August 2009, 12:38
Filed under: Portrait

Es ist Sommer in der Hauptstadt. Später an diesem heißen Julitag wird es kräftig gewittern, noch steht die Sonne hoch am Himmel. Das Gespräch mit der Allround-Künstlerin Bernadette La Hengst über Werdegang und aktuelle Projekte kann draußen stattfinden.

La Hengst sitzt in einem rot-weißen Strandkorb zwischen Volleyball-Netzen und Sonnenliegen. Wo jetzt Kinder Sandburgen bauen, verlief früher die Grenze zwischen Ost und West. Noch immer treffen hier die Gegensätze aufeinander: auf der einen Seite das hippe, mondäne Berlin-Mitte, auf der anderen der proletarische Wedding. La Hengst wohnt nur wenige Meter entfernt von der Freizeitanlage. „Gerade diese Gegensätze sind es, die den Ort so anziehend machen“, sagt die 42-jährige und streicht sich eine blonde Strähne hinters Ohr.

Die Geschichte von der Popmusikerin und Politaktivisten beginnt aber nicht in der pulsierenden Großstadt, sondern viel provinzieller im ostwestfälischen Bad Salzuflen. Als Tochter mittelständischer Eltern lernt La Hengst als junges Mädchen Klavier und Gitarre zu spielen. „Mir war schon früh klar, dass ich auf die Bühne möchte“, versichert sie – mit welcher Kunst wusste sie noch nicht. Lange hegt sie den Traum, Schauspielerin zu werden, doch es kommt anders. Eine Gruppe junger Männer philosophiert über Sozialismus, träumt vom großen Leben und macht selbst Musik. Sie heißen Frank Spilker, Bernd Begemann oder Jochen Distelmeyer. Ihr Label, auf dem sie erste musikalische Gehversuche auf Kassetten aufnehmen, nennen sie sehnsuchtsvoll Fast Weltweit. Allesamt singen sie auf Deutsch. Im Forum Enger, der einzigen Diskothek, in der sich die Eigenbrötler zu Hause fühlen, schließt La Hengst erste Kontakte. Sie beginnt, eigene Lieder zu schreiben und erhält Zutritt zu exklusiven Fast Weltweit-Club. Hier fühlt sie sich respektiert, gleichzeitig aber auch ein wenig belächelt. „Ich war zwar selbstbewusst, hatte aber nicht die Codes, die einen als „cool“ definieren. Ich habe mich damals mehr fürs Theater interessiert und das Liederschreiben nicht so ernst genommen. Bei den Jungs hatte ich immer das Gefühl, dass sich alles darum drehe, sich wichtig zu fühlen und sich zu artikulieren. Das war nicht so mein Ding zu der Zeit.“

Während die männlichen Fast Weltweit-Mitglieder ihr Glück in Hamburg suchen, hat La Hengst etwas anderes vor. Doch ihr Plan, in Berlin Theater zu spielen, will nicht so recht klappen und so geht die damals 25-jährige 1989 schließlich auch nach Hamburg, um eine eigene Band zu gründen.

Das alles erzählt sie ohne den kleinsten Hauch von Nostalgie in ihrer Stimme, gleichwohl hat ihr die Zeit viel bedeutet. In Hamburg findet sie gleichgesinnte Musikerinnen. Die Formationen heißen die Mobylettes und Die Braut Haut Ins Auge. Sie orientieren sich am Punk und an den emanzipierten Riot Grrrls aus den USA. „Anfang der Neunziger hatte ich das Gefühl, es gibt ganz viele Musikerinnen, mit denen man sich anfreunden kann. Und wenn man sich erstmal auf die Suche begibt, dann fallen einem auch immer mehr auf. Es geht ja nicht darum, den Mangel festzustellen, sondern die Vielfältigkeit zu zeigen.“ Bereits zu dieser Zeit versteht sich La Hengst als Postfeministin. Der Feminismus müsse nicht mehr umgesetzt werden, sie zähle sich schon zur Generation danach. Während sie ihre Füße im Sand vergräbt, fügt sie hinzu, dass sie das heute etwas anders sieht. Man befinde sich immer in irgendeiner feministischen Bewegung. Und La Hengst bezieht Stellung.

Eine Weile lang bildet sie Netzwerke für Musikerinnen und arbeitet als Produzentin. Als sich
Die Braut Haut Ins Auge nach dem Jahrhundertwechsel auflöst, beteiligt sie sich an der Organisation des ersten Ladyfests auf deutschem Boden. Hier soll der Unterrepräsentation
von Frauen in der Kunst- und Musikszene entgegengetreten werden. Solche Veranstaltungen sieht La Hengst heute kritisch: „Das organisierte Netzwerken birgt das Risiko, dass man sich nach außen abschottet. Um das Ladyfest, das meines Erachtens für Männer als auch für Frauen eine sehr offene Sache war, ist nach gewisser Zeit eine Mauer gebaut wurden. Ladyfest ist jetzt in vielen Städten eine Sache von Frauen für Frauen und das interessiert mich nicht.“ Auf ihrer aktuellen CD, Machinette, reimt sie zu sparsamer Instrumentierung: „Dies hier ist kein Gender Studies-Projekt, nein, es geht um unseren gegenseitigen Respekt.“

Musik zu machen ist für La Hengst eine Form der Selbstermächtigung. In ihren Liedern geht es nicht nur ums Frausein, sondern um Träume und Utopien einer besseren Welt. Auf den Alben, die sie in Eigenregie ohne feste Band eingespielt hat, klingt sie zunehmend elektronischer. Vieles entsteht und materialisiert sich in ihrem Schlafzimmer, das mittlerweile wieder in Berlin und nicht mehr in Hamburg steht. Bernadette La Hengst ist eine Selfmade-Woman. Nachts spielt sie in süffigen Clubs, tagsüber ist sie Mutter eines fünfjährigen Mädchens. Manchmal kommen Zweifel auf. Im Lied „Rockerbraut und Mutter“ rätselt sie, wie sie den unterschiedlichen Rollenanforderungen gerecht werden kann.

Zwar nimmt Musik im Kreativleben von La Hengst einen hohen Stellenwert ein, doch sie verfolgt auch zahlreiche andere Projekte. Im linkspolitischen Hörspiel „Der innere Innenminister“ etwa diskutiert sie mit Wolfgang Schäuble, dessen O-Töne zu einem fiktionalen Streitgespräch zusammengemixt wurden. Auf Demonstrationen motiviert sie Protestler mit schauspielerischen Live-Performances. Überhaupt – die Schauspielerei, der lang gehegte Traum, erfüllt sich nun doch auf Umwegen. In Freiburg stellt La Hengst den Soundtrack zur „Bettleroper“, die sich lose an der „Beggar’s Opera“ von John Gay und Johann Pepusch orientiert. Allerdings stehen echte Bettler und Obdachlose auf der Bühne. „Eichbaumoper“ nennt sich ein anderes Theaterprojekt, das Bernadette La Hengst zusammen mit fünf weiteren Künstlern in einer alternativen Kultureinrichtung auf einer U-Bahnstation und gleichzeitigem Autobahnkreuz zwischen Essen und Mühlheim inszeniert. Hier ist sie nicht nur maßgeblich an der Konzeption und Produktion beteiligt, sondern präsentiert sich dem Publikum in einer Szene auch als Librettistin und Schauspielerin.

La Hengst lugt aus dem Strandkorb heraus und blinzelt fröhlich der Sonne entgegen, vor der sich allmählich schwere Wolken auftürmen: „Das Schöne ist, ich kann’s nicht und mach’s trotzdem. Ich muss mich jedes Jahr neu definieren, deswegen kann ich diesen Begriff ‚Musikerin’ gar nicht so fest verankern. Ich bin irgendwie Künstlerin, und das kann alles Mögliche sein.“
Christoph Reimann