Über Stadt.Land.Pop


Anmerkung von Jochen Bonz
7. Dezember 2008, 14:18
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Eine Ausstellung, die sich mit der Beziehung einiger zentraler Akteure der Hamburger Schule zu Ostwestfalen beschäftigt, zum Anlass und als Gegenstand einer journalistischen Schreibübung in zwei im Wintersemester 2008 stattfindenden Kursen an der Universität Paderborn und einem im Sommersemester 2009 an der Universität Bielefeld zu nehmen, schien mir aus einer ganzen Reihe von Gründen nahe liegend.
Einer der Kurse fand im Masterstudiengang Populäre Musik und Medien statt, in dem ich bereits im Semester zuvor eine ähnliche Übung angeboten hatte. Damals hatte die Aufgabe darin bestanden, Kritiken zu einigen Alben zu verfassen, die uns von den Labels Miyagi, Sopot und Rubaiyat zur Verfügung gestellt wurden. Das hatte nicht so gut funktioniert. Oft konnten die Studierenden mit der betreffenden Musik wenig anfangen – was eine denkbar schlechte Voraussetzung ist, um eine aussagekräftige Kritik verfassen zu können. Außerdem zerstreute die Vielzahl der Alben das Seminar gewissermaßen. Sie verhinderte einen gemeinsamen Fokus. Dies sollte die Konzentration auf eine Ausstellung nun verhindern.
Darüber hinaus hielt ich das Thema Hamburger Schule für geeignet, um im Rahmen eines Studiums der populären Musik aufgegriffen zu werden. Obwohl den meisten Studierenden aus diesem Studiengang, wie auch aus dem Studiengang des zweiten Kurses, einer kompliziert benannten geisteswissenschaftlichen Grundausbildung im Bachelorbereich, weder mit der Bezeichnung Hamburger Schule noch mit den meisten Bandnamen – Blumfeld, Die Sterne u. a. – viel anfangen konnten, fanden sich dann in der Regel doch persönliche Bezüge, tat sich für einige der Beteiligten etwas Interessantes auf, so dass in den Kursen schließlich sowohl intensiv gearbeitet wurde als auch viele ordentliche und einige sogar wirklich bemerkenswerte Texte entstanden.
Auch der Fokus ergab sich über den gemeinsamen Gegenstand, wie sich zum Beispiel in angeregten Diskussionen über einzelne Aspekte der Ausstellung zeigte. Und dies, obwohl die Ausstellung streng genommen tatsächlich eher einen Anlass für die Beschäftigung mit Gegenständen im Umfeld der Ausstellung lieferte als wirklich ein einzelner, allen Arbeiten gemeinsamer Gegenstand zu sein. Entsprechend persönlicher Interessen und auch der im Einzelfall zur Verfügung stehenden Zeit wurden so zum Beispiel neben Ausstellungsankündigungen und –kritiken auch Portraits von in der Ausstellung vorkommenden Bands, Musikerinnen und Musikern sowie Reportagen geschrieben, die sich auf den Spuren der Hamburger Schule durch bad Salzuflen bewegen. Es sind außerdem Albumkritiken und mehrere Interviews mit Personen entstanden, die maßgeblich an der Realisierung der Ausstellung beteiligt waren.
Für die Beschäftigung mit Stadt.Land.Pop sprach auch die Genese des Ausstellungsprojektes selbst. An seinem Zustandekommen waren die Universitäten Münster und Paderborn und dort neben Lehrkräften auch etliche Studierende beteiligt – unter anderem aus dem Studiengang Populäre Musik und Medien. Eine wenig spezifische, aber fühlbare Nähe zum Gegenstand der journalistischen Auseinandersetzung schien mir dadurch gewährleistet. Diese Annahme hat sich bestätigt. Eventuell resultierte sie aber auch aus der geografischen Nähe zum Ausstellungsort wie auch zu den ostwestfälischen Orten der Hamburger Schule, d.h. aus dem regionalen Aspekt der Ausstellung überhaupt. Ich komme auf das Moment der Regionalität, bei dem es sich um die Grundidee der Ausstellung handelt, noch einmal zurück.
Neben den genannten, allesamt im Hinblick auf die Motivation der Studierenden, also: in didaktischer Hinsicht sinnvollen Gründen, sprach ein weiterer Grund, der meine eigene Motivation betraf. Im Gegensatz – wie ich feststellte – zu den Studierenden, bedeutete mir die Hamburger Schule sehr viel. Nicht nur, dass ein Großteil meiner journalistischen Arbeiten Bands aus dieser Szene zum Gegenstand hatte. Tocotronic etwa, Blumfeld, Stella sowie Folgeprojekte beteiligter und befreundeter Musiker (u.a. Ego Express) und Labels. An Letzteren wird mir selbst meine Verbundenheit besonders deutlich: So habe ich, wie mir im sicher leicht verklärenden Rückblick erscheint, in den Neunzigerjahren eine zeitlang annähernd alle Veröffentlichungen von Carol von Rautenkranz’ und Charlotte Goltermanns Labels L’Age D’Or und Ladomat 2000 besprochen – für Intro oder für den Kulturteil der taz. Und heute sind mit Dial und Smallville zwei Labels, die aus deren – im übertragenen Sinn gesprochen, auch wenn es der handfeste Sinn wohl beinahe ebenso trifft – Konkursmasse hervorgingen, meine Lieblingsmusikfirmen. An diese Stelle gehört auch die folgende Nebenbemerkung: all den in jüngerer Zeit gehäuft, etwa von Roger Behrens oder auch beteiligten Musikern getätigten gegenläufigen Äußerungen zum Trotz, weiß ich, dass es das wirklich gab – eine Hamburger Schule. Wobei freilich die Frage ist, welche Kriterien man zur Verifizierung oder Falsifikation dieser These anwendet. Ich würde vor allem soziale und kulturelle Kriterien stark machen. Wie den Umstand, dass eine zeitlang die Protagonisten der Hamburger Schule immer in denselben Kneipen auf St. Pauli anzutreffen waren. Nicht nur im Golden Pudel Club in der Hafenstrasse, auch wenn der heute im kollektiven Gedächtnis sicher nicht zu unrecht zum Brand für diese Subkultur geworden ist. Da gab es außerdem zum Beispiel den Sorgenbrecher, wie sich etwa im Hamburger Schule-Lied der damals populären nicht-Hamburger Band Lassie Singers nachhören lässt; oder auch den Tempelhof.
Mit diesen persönlichen Anmerkungen bin ich bereits mitten darin, wie angekündigt, die Grundidee der Ausstellung noch einmal aufzugreifen. Mit ihrem Ansatz, die biografischen Wurzeln einer Personengruppe, die die Popkultur im deutschsprachigen Raum nachhaltig prägte, in der Region Ostwestfalen zum Thema zu machen, reiht sich die Ausstellung neben anderen aktuellen Projekten der Popgeschichtsforschung ein, die ebenfalls auf Regionales abheben. Ich denke an die material- und abwechslungsreiche Publikation Echt! Pop-Protokolle aus dem Ruhrgebiet (herausgegeben von Johannes Springer, Christian Steinbrink und Christian Werthschulte, Verlag Salon Alter Hammer, 14,90) und an die Veröffentlichung Mjunik Disco (Blumenbar Verlag, 32,00), die mir als ich dies schreibe, allerdings nur aus Besprechungen im Feuilleton der SZ und dem SZ-Magazin bekannt ist. Ganz offenbar haben wir es hier regelrecht mit einem zeitgenössischen Dispositiv der Popkulturforschung zu tun; einer Brille, die Seheigenschaften verleiht, die heute nicht nur Einzelnen viel versprechend erscheinen.
Mein erster Impuls gegenüber diesem Dispositiv war nicht ganz so eindeutig wie angeblich Jochen Distelmeyers Reaktion auf Stadt.Land.Pop: Wie der Kurator Professor Walter Gödden in einem Interview mit Studierenden erzählt, wollte der Leader der zweifellos maßgeblichsten ostwestfälisch stämmigen Hamburger Schule-Band Blumfeld nicht mit dem Projekt in Zusammenhang gebracht werden und ließ etliche Wort- und Bild-Zitate aus Ausstellung und Katalog tilgen. Ich hatte lediglich ein komisches Gefühl, das sich langsam zu der Frage verdichtete: Warum?
Warum eigentlich sollte es interessant sein, regionale Aspekte von Pophänomen zu betrachten? Ein engagierter Student verwies mich auf die auch Glokalisierung genannte Dialektik von globalen Phänomenen und ihren lokalen Ausprägungen. Dem Spezifischen, in das sie sich an den jeweiligen Orten verwandeln. Meinem Widerwillen gegen sozialwissenschaftlichen Binsenweisheiten wie der Glokalisierung zum Trotz ließ sich dieser Gedanke für mich in folgender Weise konkretisieren und nachvollziehen: Die regionale Ausprägung der Popkultur ist interessant für diejenigen, die am jeweiligen Ort waren oder sind oder sich für ihn interessieren, da es sich bei der regionalen Erscheinungsform der Popkultur um das handelt, was es dort an dem betreffenden Ort tatsächlich gegeben hat. Dies war dort wirklich.
Demnach wird das Regionale in diesem Dispositiv nicht einfach im geografischen Sinne verstanden. Vielmehr meint es eine lokale Ontologie. Eben das Was und Wie des Vorhandenseins und Seins der Dinge und Personen, da und dort. Nun zeigt jedoch gerade das Thema von Stadt.Land.Pop, dass das Regionale und das lokale Ontologische aber eben gerade nicht zusammen fallen. Sie sind eben nicht eins, gehören nicht zusammen. Denn eine lokale Ontologie finden die ostwestfälischen Protagonisten der Hamburger Schule schließlich erst in Hamburg. Dass es sie aus Ostwestfalen wegzieht, spricht dagegen dafür, dass es eine lokale Ontologie dort gerade nicht gegeben hat. Das ist freilich relativ gemeint: es scheint sie in der Weise nicht gegeben zu haben, als es sich dort nicht leben ließ. Handlungsfähigkeit, eine Welt, die mit begehrenswerten Objekten ausgestattet ist, Motive, Gleichgesinnte – all die Aspekte, die eine Ontologie im Wesentlichen ausmachen – das fand sich, denke ich, in der Subkultur in Hamburg.
Mein Fazit: Wenn das Dispositiv der regionalen Popkulturforschung und –geschichtsschreibung schon seinen Bann entfaltet, könnte eine reflektierte Art der Realisierung des Dispositivs darin bestehen, analytisch zwischen den Aspekten der Regionalität und der Ontologie zu trennen. Ich vermute, dass mit dieser etwas anderen Brille vor allem ein Phänomen sichtbar wird, wie ich es aus persönlicher Erfahrung – aber auch aus autobiografischen Texten von Personen wie beispielsweise Julie Burchill – kenne: das Regionale ist der Ort, an dem das Vorhandensein einer lokalen Ontologie des Pop ersehnt wird. Diese selbst ist dort also zwar im Kopf von Einzelnen, aber nicht im Sozialen realisiert. Dies war sie… in Hamburg.
Wie schließlich noch anzufügen ist, arbeiteten wir im einen Kurs mit gut dreißig, im anderen mit um die zehn Studierenden an drei ganztägigen Terminen und über einen Zeitraum von insgesamt sechs Wochen – und zwar im Vorfeld und parallel zur Ausstellungseröffnung, so dass sich für die Studierenden zumindest theoretisch die Möglichkeit ergab, im Kurs entstehende Texte auf dem wirklichen journalistischen Markt anzubieten. Als ich dies schreibe ist noch unklar, ob Versuche unternommen wurden, diese Möglichkeit aufzugreifen und ob diese von Erfolg gekrönt waren.
Jochen Bonz, Nikolaustag 2008